Trügerische Sicherheit im Daimler-Land

Daimler

Trügerische Sicherheit im Daimler-Land

Über die Automobilproduktion, drohende Krisen und notwendige Perspektiven

Als der Daimler-Vorstand, Anfang 2010, beschloss, die C-Klasse aus Sindelfingen abzuziehen, wurden auch in Baden-Württemberg die längst brodelnden Katastrophen-Potenziale der KFZ-Überproduktionskrise sichtbar. Schlagartig und grell!
Protest und Empörung der Beschäftigten haben damals zunächst zu der Zusicherung geführt, betriebsbedingte Kündigungen würden ausgeschlossen, bis Ende 2019.
Inzwischen investiert der Konzern wieder Milliardenbeträge in die deutschen Werke (wenn auch zum beträchtlichen Teil finanziert durch Einsparungen an den Belegschaften, die mit den Betriebsräten ausgehandelt wurden (1)). Die Produktion „brummt“.
Ist also Entwarnung angesagt? Nein! Mitnichten!
Wenn Geschäftsführer und Betriebsräte betonen, mit den Investitionen würden Standorte und Beschäftigung gesichert, heißt das noch lange nicht Sicherung aller Arbeitsplätze.

■ Neue Investitionen sind immer auch Rationalisierungsinvestitionen.

■ Erklärte Strategie des Daimler-Vorstandes ist es, immer mehr Arbeiten an billigere externe Anbieter fremd zu vergeben. (1)

■ Laut Produktionschef Schäfer soll die Werkslandschaft im Konzern komplett umgekrempelt werden. Einzelne Standorte sollen demnach in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Stattdessen soll die Produktion entlang von Plattformen organisiert werden, wie bei der neuen C-Klasse, die auf vier Kontinenten gleichzeitig angelaufen ist. (1)

Sogar wenn der Konzern seinen Absatz dauerhaft steigern könnte, wäre das kein Garant für Arbeitsplatzsicherheit hierzulande …

Ein Beispiel ist der italienische Fiat-Konzern, der „zuhause“ dramatische Produktionsrückgänge zu verzeichnen hat, aber seinen Anteil an der Weltproduktion von Autos von 3,1% im Jahr 2005, auf 5,4% 2013 steigerte. (2)

Seit 2007 sank der weltweite Anteil der Autos, die in Europa, den USA und in Japan hergestellt wurden, von knapp 60% auf heute 42%. (2)

Der Anteil der Autos, die in China und Indien produziert wurden, stieg von knapp 5% im Jahr 2000 auf heute 30%. (2)

Es sind aber die gleichen Konzerne, die daran verdienen (2). Auch Daimler verkauft eben mehr Autos, die anderswo gebaut werden.

… aber auch Daimler wird seinen Absatz nicht dauerhaft steigern können. Weltweit betrachtet stottert der vielgepriesene „Beschäftigungsmotor Automobilindustrie“ seit langem. In Großbritannien und Spanien ist die Autoproduktion seit 1999 um 20% gesunken, in Frankreich um die Hälfte in Italien um mehr als 2/3. (2)

Die Automobilkrise ist eine der bestprognostizierten Überproduktionskrisen der Industrie­geschichte.
Bis sie auch Deutschland erreicht, ist es nur eine Frage der Zeit, betrachtet man, zusätzlich zu den weltweiten Überkapazitäten, die Verlagerungsstrategie des Daimler-Konzerns (und Daimler ist da ja nicht die Ausnahme unter den Auto-Konzernen), relativ kurzer Zeit.
Die Folgen für Baden-Württemberg, wo 208 000 Menschen (das sind 5,6% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) in der Kraftwagen- und Kraftwagenteile-Fertigung arbeiten (3), drohen schlimm zu werden.
In den Automobil-Ballungszentren Böblingen/Sindelfingen (Daimler), Stuttgart (Daimler und Porsche), Gaggenau/Rastatt (Daimler), und Heilbronn (Audi) sind von den genannten 208 000 KFZ-Beschäftigten mehr als die Hälfte (nämlich 55%) konzentriert, auf die zehn wichtigsten Stadt- und Landkreise konzentrieren sich sogar 80% (3). Dort drohen katastrophale Folgen.
Bei der (in Deutschland noch) drohenden (anderswo schon stattfindenden) Automobilkrise handelt es sich nicht nur um eine relative Überproduktion im marxistischen Sinn, her­vorgerufen durch die Diskrepanz zwischen Produktionsmenge und kaufkräftiger Nachfrage. Es geht auch um den ökonomischen Sinn und die ökologische Verträglichkeit des ständig wachsenden Autoverkehrs.

Ökologisch bedingt…
Schon jetzt sind weltweit ungeheure Überkapazitäten aufgebaut worden. Die enormen Mengen gebundenen Kapitals in den hochtechnologisierten Auto-Betrieben schreien nach immer höherer Auslastung. Diese kann jedoch (insgesamt betrachtet) längst nicht mehr auf dem Markt realisiert werden.
Gesellschaftspolitisch geht es nicht nur um das investierte Geld, sondern vor allem um die Beschäftigung.
Die ständig wachsende Produktivität der Auto-Betriebe würde stete und sprunghaft steigende Absatzsteigerungen erfordern, wenn die Beschäftigtenzahl dauerhaft auch nur gehalten werden sollte. Das würde aber in vielfacher Hinsicht zu einem unausbleiblichen Kollaps führen.
In den entwickelten Industrieländern würde die „Automobildichte“ schon bald objektive Grenzen erreichen, wo in dem vorhandenen Straßennetz der Verkehr nicht mehr fließen könnte. Was in dieser Beziehung in vielen Ballungszentren jetzt schon ansatzweise erkennbar wird, führt unausbleiblich zum „Verkehrsinfarkt“ wenn die Entwicklung ungebremst weitergeht. Auch das Inkaufnehmen immer weiteren Flächen- und Landschaftsverbrauches durch den Bau weiterer Straßen könnte da nur aufschiebende Wirkung haben. Ebenso die Optimierung des Verkehrsflusses durch Navigationssysteme und Stau-Vermeidungs-Strategien.
Heute schon führt der täglich millionenfache Einsatz der Autoverbrennungsmotoren zu Emissionsschäden, die einen großen Anteil daran haben, dass das ökologische Gleichgewicht der Erde lebensbedrohlich beeinträchtigt ist.
Dabei geht es längst nicht mehr „nur“ um Luftverschmutzung, Waldsterben usw., sondern in Wechselwirkung mit diesen Problemen um globale Überlebensfragen der Menschheit z. B. den Klimawandel.
Würde die „Automobildichte“ der Industrieländer weltweit (oder auch nur auf die heutigen Schwellenländer) ausgedehnt, wäre die Katastrophe nicht mehr reparabel. Dabei wird es nicht möglich sein, hierzulande weiter zu machen wie bisher, aber von Anderen zu erwarten, dass sie Abstinenz üben.
Wobei die Autokonzerne diese Abstinenz ja auch gar nicht anstreben, sondern im Gegenteil nach neuen Absatzmärkten lechzen. Nach Absatzmärkten, die aber, selbst wenn sie erschlossen würden, in den alten Industrieländern keine dauerhafte Perspektive für Beschäftigung und den Wirtschaftsmotor Auto böten, weil die Produktion mit zunehmender Geschwindigkeit in die neuen Absatzgebiete verlagert wird.
Zwischendurch werden die Überproduktionsprobleme immer mal wieder mit der Ansage kleingeredet, zurzeit würde das „Auto neu erfunden“. Kleinere, leichtere und verbrauchssparende Autos würden die gegenwärtige Generation ablösen. Jedoch selbst wenn diese vielfach publizierte Behauptung wahr wird, könnte das den Kollaps bestenfalls verzögern und verlangsamen, nicht aber aufhalten.
Sogar ganz kühne Spekulationen, die gesamte weltweite Autoflotte müsste/würde ersetzt werden und das sichere über Generationen die Automobilarbeitsplätze, können nicht aufgehen. Wie schnell solche Beschäftigungseffekte verpuffen und sich in der Folge sogar als Absatzbremse auswirken, zeigt z. B. die Erfahrung in Deutschland mit der „Abwrackprämie“.
Im Übrigen verbrauchen auch Hybrid-Autos (Autos mit gemischten Antriebssystemen) und reine Elektro-Autos Energie. Der Strom, der aus der Steckdose kommt, muss ja erzeugt werden. Und die Behauptung, diese Autos wären sauber, ist Augenwischerei, weil es bei ihnen zwar nicht (oder weniger) aus dem Auspuff qualmt, aber dafür mehr aus den Kraftwerken, wo man es nicht so sieht. Auch der Qualm aus Kraftwerken ist ein Klimakiller und dass auch Atomstrom keine zukunftssichernde Alternative für die Menschheit ist, hat sich spätestens seit Fukushima herumgesprochen.
Millionenfacher Chemieabfall künftig ausgemusterter Autos der neuen Kunststoff-Generation und Millionen zu entsorgende Hochleistungsbatterien der Elektro-Autos werden sogar neue Umwelt- probleme schaffen.
Dazu kommen noch die Auswirkungen auf die Umwelt und die Bedingungen unter denen die „neuen“ Rohstoffe (z.B. Coltan) in Drittweltländern abgebaut werden. Der Raubbau am Allgemeingut Mineralöl wird auf andere Rohstoffe und letztlich auf das gesamte Allgemeingut Umwelt ausgedehnt.

… und ökonomisch bedingt
Neben der (ökologisch bedingt) drohenden Autokrise droht aber auch eine Absatzkrise durch Reallohnverlust. Sinkende Massenkaufkraft und Zukunftsangst führen bei vielen Menschen zu Kaufzurückhaltung und damit tendenziell zu Auftragsrückgängen. Die Absatzprobleme im Binnenmarkt wurden lange Zeit mit hohem Exportüberschuss in an­dere Länder übertüncht. Sie kommen in Form von Finanzkrisen zurück. Länder mit permanenten Wirt­schaftsbilanzdefiziten werden faktisch ruiniert.
Seit dem Jahr 2000 sind die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland permanent gesunken. Deutsche Dumping-Löhne verschärfen die internationalen Handelsbilanzunterschiede und damit die Weltwirtschaftskrise.
Die Antwort der Herrschenden in Staat und Wirtschaft sind erneute „Sparprogramme“, die sie der „eigenen“ Bevölkerung wie der anderer Länder (aktuell Griechenland) aufzwingen. Sparprogramme, mit denen die kapitalistischen Staaten den Großkonzernen, Banken und Spekulanten immer ungeheuerlichere Profite sichern wollen.
Dadurch entsteht eine weitere bedenkliche Tendenz: Wer allein durch Erpressung und politische Machtausübung, also ohne eigene Wert­schöpfung, dreistellige Milliardensummen einstreicht, verliert das Interesse an materieller Produktion, schöpft industrielle Potenzen nicht aus und entwickelt sie nicht weiter. Auch nicht für neue, sinnvolle Produkte.
So wird die Wirtschaft kaputtgemacht. Die ins Extreme gesteigerte staatliche Umverteilung von unten nach oben droht, sowohl den Binnenmarkt als auch wichtige Exportmärkte zu zerstören.
Mit erpresserischer Gewalt (wirtschaftlich und zunehmend auch militärisch) wird versucht, Exzesse des sozialen Raubzugs in jeden Winkel der Erde zu tragen. Die kaufkräftige Nachfrage bricht dadurch erst recht tendenziell zusammen, auch in Exportregionen.
Die Finanzkrise findet ihr Gegenstück in der kapitalistischen Überproduktionskrise (auch der Auto-Industrie), die derzeit kapitalistisch gelöst wird. Das heißt, die Kapazitätsvernichtung findet statt, unkontrolliert, ungesteuert und unabhängig vom Wollen der Akteure.

Wer sich auf die Einsicht der wirtschaftlich und politisch Herrschenden verlässt, wird verlassen sein.
Es wird eine Frage des Kräfteverhältnisses und letztlich des wirtschaftlichen und politischen Systems sein, ob die Konzerne dies weiterhin auf dem Rücken der Beschäftigten durchsetzen können, um – nach Marktbereinigungen – weiter/wieder Monopolprofite zu erzielen, oder ob ein demokratisch kontrolliertes Umsteuern der überschüssigen Produktivkräfte, entsprechend der gesellschaftlichen Bedürfnisse, durchgesetzt werden kann. Zu gesellschaftlichen Bedürfnissen gehören sinnvolle Produkte ebenso wie beschäftigungssichernde Produktion und Arbeitsbedingungen, die nach den Interessen der Beschäftigten, nicht nach Profitinteressen ausgerichtet sind.
Kaufkraftvernichtung und Arbeitsplatzvernichtung treiben sich gegenseitig. Gegenwärtig findet weltweit ein gewaltiges Monopoly-Spiel statt, in dem Autokonzerne Marktbereinigung auch durch Fusionen betreiben. Immer verbunden mit Kahlschlag an Arbeitsplätzen, Druck auf Löhne, soziale Leistungen und erkämpfte Rechte für die Beschäftigten in allen Standorten.

Hilflose Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre neigen teilweise dazu, dies nach dem Sankt-Florian Prinzip zu tolerieren. Auch von Beschäftigten-Funktionären geht Standortkonkurrenz, Lohn- und Sozialdumping aus. Dadurch wird jedoch kein Problem gelöst. Im Gegenteil verschärft dieses Zurückweichen die Krise für die Beschäftigten aller Standorte.
Mehr noch als die Auto-Stammbelegschaften kommen Beschäftigte der Zulieferer-Industrie unter Druck, weil diese Betriebe nicht nur selbst kapitalistische Auswege aus der Krise suchen, zulasten der Beschäftigten. Sondern weil sie zugleich den verstärkten Druck auf die Belegschaften abwälzen, der auf sie selbst von den Autokonzernen ausgeübt wird.
Die Schließung des Behr-Werkes 8 in Stuttgart-Feuerbach, die Übernahme des Behr-Konzerns durch Mahle und die danach angekündigte Sparorgie an den Belegschaften beider früheren Konkurrenten sowie die Ausgründung der Anlasser-Fertigung durch den Bosch-Konzern (4) sind nur einige Beispiele.

Das Übel an der Wurzel packen, die Macht der Großkonzerne knacken!
Das alles schreit geradezu nach grundsätzlichen Alternativen, die aber nicht zu realisieren sein werden, ohne grundlegend an den Macht- und Entscheidungsverhältnissen etwas zu verändern.
Es bedarf neuer Antworten für die Verkehrspolitik und die Beschäftigungspolitik. Antworten, die das ökologische Überleben der Menschheit sichern. Antworten aber auch, die den Beschäftigten und künftigen Generationen menschenwürdige Arbeit und soziale Sicherheit geben. Antworten, welche die Potenziale an Arbeitskraft und Qualifikation, die gewaltigen Möglichkeiten der modernen Industrie und Infrastruktur, die Produktivkraft, auf Sinnvolles und wirklich Notwendiges lenken.
Verkehrspolitisch sind Grenzen der Automobilisierung sinnvoll und nötig. Vor allem der Schienenverkehr (und was den Güterverkehr betrifft, auch die Schifffahrt), ist wesentlich preisgünstiger und umweltschonender. Es ist nicht sinnvoll, für einzelne oder wenige Personen, die von a nach b wollen, tonnenweise Blech in Form von PKWs mit zu bewegen (oder für relativ geringe Gütermengen in Form von LKWs).
Für den Personen- und Güterverkehr können die vorhandenen öffentlichen Verkehrsmittel erheblich mehr genutzt und diese ausgebaut, statt stillgelegt werden. Neue öffentliche Verkehrsmittel sind zu entwickeln.
Das alles wird auch durch die gegenwärtige Regierungspolitik in immer stärkerem Maß unmöglich gemacht. Ein Beispiel: Der Subventionsbedarf für die Infrastruktur im kommunalen Nahverkehr ist inzwischen auf 4 Milliarden angewachsen. Jedes Jahr kommen 330 Millionen dazu. Doch statt zusätzliche Mittel bereitzustellen, sollen die Bundesmittel für den kommunalen ÖPNV (öffentlicher Personen-Nahverkehr) nach dem „Entflechtungsgesetz“ (1,335 Milliarden Euro) Ende 2019 auch noch wegfallen. (5)
Statt Milliardensubventionen an die ohnehin überreichen Autokonzerne wäre ein genereller Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr ein wichtiger Ansatz zur massenhaften Entlastung des Straßenverkehrs. Zu seiner Finanzierung sind die wirtschaftlichen Hauptnutznießer heranzuziehen, die Produktionsbetriebe, denen die Arbeitskräfte zu und abtransportiert werden, die Banken, Versicherungen, Einzelhandelskonzerne, die ohne den Transport ihrer Kunden aufgeschmissen wären.
Darüber hinaus kann der Zwang zur „Kilometerfresserei“ eingeschränkt werden.
Es ist z. B. nicht sinnvoll, Arbeitsplätze weit weg von den Wohnungen der Beschäftigten zu konzentrieren, sodass täglich Millionen Pendler-Kilometer zurückzulegen sind, Millionen Liter Treibstoff verbrannt, Unmengen von CO2 in die Atmosphäre geblasen werden.
Städtebaukonzepte, die beim Einkauf wohnortnahe Versorgung ermöglichen und nicht lange Anfahrtswege erfordern, sind ebenfalls notwendig.
Beschäftigungspolitisch ist festzustellen, dass stagnierende Autoproduktion keinesfalls zwangsläufig zu steigender Arbeitslosigkeit führen muss.
Fürs Erste wäre eine deutliche Ar­beitszeitverkürzung beschäftigungssichernd. Sie wäre eine gewaltige Entlastung. Es geht allerdings um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, der die Kaufkraft erhält.
Langfristiger Ausweg bei Absatzrückgang ist also nicht Kurzarbeit, welche die Konzerne von Überkapazitäten entlastet aber durch die Sozialversicherungen (also aus den Kassen der Beschäftigten) und/oder aus Steuermitteln und durch Lohneinbußen bezahlt wird. Auch nicht sonstige von den Beschäftigen selbst finanzierte Kapazitätsentlastung, durch die ebenfalls kauffähige Nachfrage zerstört wird.
Die allgegenwärtige ka­pitalistische (relative) Überproduktionskrise (relativ, weil der Diskrepanz zwischen Produktivität und Kaufkraft geschuldet, nicht fehlender Nachfrage an sich), darf nicht durch Kaufkraftsenkungen weiter angeheizt werden, sonst würde auch der Beschäftigungseffekt einer Arbeitszeitverkürzung gleich wieder aufgehoben.

Auf die eigene Kraft vertrauen!
Die Beschäftigten der Autoindustrie sind starke, gut organisierte und kampferprobte Abtei­lungen der Arbeiterbewegung. Ihre Kraft wird erforderlich sein, um die richtigen gesellschaftlichen Alternativen zu entwickeln und durchzusetzen. Schon deshalb wäre ein fatalistisches Hinnehmen der massenhaften Liquidierung ihrer Arbeitsplätze grundfalsch. Der Kampf um jeden Arbeitsplatz heute steht nicht im Gegensatz zu den Forderungen nach sinnvoller Produktkonversion für die Zukunft. Im Gegenteil, angesichts der gesellschaftlichen Machtverhältnisse bedingt das Eine das Andere.
Die Automobilkonzerne haben jahrzehntelang Maximalprofite eingefahren. Sie haben durch Automatisierung und Rationalisierung Zig-Millionen an Lohnkosten eingespart. Sie haben die Senkung der Lohnstückkosten hierzulande unter das Niveau in Entwicklungsländern durchgesetzt. Sie können Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhungen bezahlen.
Perspektivisch muss stagnierende oder rückläufige Autoproduktion schon gar nicht zwangsläufig zu ansteigender Arbeitslosigkeit führen. Die Menschheit steht vor gigantischen ungelösten Aufgaben, deren weiteres Liegenlassen menschheitsgefährdend wird. Die weitere Vernichtung der Umwelt muss gestoppt, mehr noch, die Umwelt muss von vorhandenen Schäden repariert werden, weltweit. Umfassend – von der Industrie bis in die privaten Haushalte – müssen vorhandene Anlagen, Maschinen und Geräte durch energie-effizientere ersetzt werden. Saubere erneuerbare Energie muss sowohl die Verbrennung fossiler Rohstoffe als auch die Atomenergie ersetzen.
Autokonzerne wie z. B. der Daimler Benz Konzern waren in ihrer Geschichte schon Allroundtechnologieriesen. Sie könnten im Zusammenwirken mit anderen Hightechbetrieben dazu entscheidende Beiträge leisten, sowohl was Forschung und Entwicklung, als auch was die Produktion betrifft.

Es gibt sinnvolle Arbeit in Hülle und Fülle.
Die Menschheit hätte mehr zu tun, als sie gegenwärtig leisten kann. Zu nennen wären die weltweite Beseitigung des Hungers, die Ausrottung von Krankheiten und Seuchen.
Weltweite Probleme wurden und werden wesentlich von den kapitalistischen Industrieländern verursacht. Diese haben die Hauptverantwortung für ihre Überwindung zu tragen. Nicht zuletzt, weil sie über den Reichtum, die technischen Voraussetzungen und das Know-how verfügen und weil der Reichtum auch aus der Ausbeutung anderer Länder entspringt.
Und schließlich gibt es endlose Reserven für Vollbeschäftigung in der Ausweitung der öffentlichen und sozialen Bereiche.
Ein zukunftsorientiertes Bildungssystem erfordert eine bessere Ausstattung von Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen. Vor allem erfordert es mehr Lehrer und Professoren für weniger Schüler und Studenten. Es braucht längere Schul- und Studienzeiten statt Schnellschuss-Schmalspurausbildung.
Das Wissen der Menschheit vervielfacht sich in immer kürzeren Zeiträumen, aber die Ausbildungszeiten zur Vermittlung dieses Wissens werden für die breite Masse immer weiter gesenkt.
Die Entwicklung der industriellen und gesellschaftlichen Potenziale erfordert immer mehr humanistische Bildung, die den Blick auf verantwortungsvollen Umgang mit denselben schärft, aber das Bildungssystem produziert immer mehr maximalprofitfixierte „Schmalspur-Fachidioten“. Das ist gefährlich für alle!
Bessere und menschenwürdige Versorgung alter und kranker Menschen erfordert erheblich mehr Investitionen in das Gesundheitswesen. Mehr und besser ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte.
Das alles und noch viel mehr wäre machbar. Es gibt die Menschen, die das leisten können. Es gibt die Qualifikation dafür. Es gibt die Infrastruktur. Es gibt die Rohstoffe. Es gibt die Maschinen und Fabriken. Alles ist da. Wir könnten alle die Ärmel hochkrempeln und loslegen.
Aber die politisch und wirtschaftlich Herrschenden blockieren die nötige Umgestaltung. Regierung, Banken und Industrie tönen: „Aber wer soll das bezahlen? Der Staat ist doch über viele Generationen verschuldet!“ Das sagen die Gleichen, die sich überschlagen zur „Rettung der Banken“, zur Absicherung der Konzern- und Spekulanten-Profite immer aufs Neue hunderte von Milliarden Euro an Geschenken und Bürgschaften aufzubringen. Aus Steuergeldern!
Mit diesen Geldern könnten die genannten Aufgaben rauf und runter finanziert werden. Die Menschen könnten für notwendige Arbeit gutes Geld verdienen, wenn die öffentlichen Mittel nicht den Banken und Konzernen in den Rachen geworfen würden.
Auch zur Subventionierung der Auto-Konzerne werden enorme Summen aufgewendet. Die KFZ-Industrie ist eine der am stärksten subventionierten Branchen hierzulande und weltweit.
Die Subventionierung erfolgt

■ direkt, in Form von Steuergeschenken, Standort- und In­vestitionszuschüssen, in Form von Infrastrukturmaßnahmen usw.

■ und indirekt, weil der Bau von Straßen (die Voraussetzung für den Kraftfahrzeugverkehr) genau so öffentlich finanziert wird, wie die Sanierung von Emmissionsschäden (die Versorgung der Folgen).

■ Sie erfolgt in Form von extrem aufwändigen Absatzförderungsmaßnahmen wie z. B. der Abwrack-Prämie.

■ Sie erfolgt in der Aufstockung von Löhnen Werksvertragsbeschäftigter z.B. bei Daimler, deren Lohn noch nicht einmal das Hartz IV-Niveau erreicht, durch die Bundesanstalt für Arbeit. (6)

Heftig steuerlich subventioniert (Anschaffung, Unterhalt, Abschreibung, Missbrauch als verkappte sozialversicherungsfreie Lohnbestandteile, etc.) werden darüber hinaus Firmenwagen/Dienst fahr- zeuge.
Seit Jahren beträgt der Anteil derselben, an allen in Deutschland neu zugelassenen PKW deutlich mehr als die Hälfte (7). Es handelt sich hier also um eine staatliche Absatzförderung gewaltigen Ausmaßes. Die baden-württembergischen Auto-Konzerne Daimler und Audi partizipieren überdurchschnittlich daran.
Absatzfördernd für die Auto-Industrie ist auch das politisch entschiedene Unattraktiv-Machen des öffentlichen Nahverkehrs, wie z.B. durch „Stuttgart 21“, derzeit spürbar durch ständige Zugausfälle und dramatische Verspätungen von S-Bahnen im VVS-Bereich.
Für Profitsicherung ist nichts zu teuer, aber die Menschen werden arbeitslos gemacht, weil sich die Finanzierung sozialer und ökologischer Aufgaben „nicht rechnet“. Die Banken, die Spekulanten, die Großkonzerne, haben kein Interesse an notwendigen Menschheitsaufgaben. Die Lösung sozialer Probleme ist für sie hinausgeschmissenes Geld.
Privatkapitalistische, staatsmonopolistische Verwertungsstrategien stoßen immer mehr an Grenzen der gesellschaftlichen Existenzbedürfnisse. Wo das Kapital herrscht, wird der Profit zum Maßstab aller Dinge. Wo der Profit Maßstab aller Dinge ist, kommen menschliche und gesellschaftliche Werte und Maßstäbe unter die Räder. Weil das Kapital kein (Verwertungs-) Interesse daran hat, muss sich die Gesellschaft den Luxus leisten, dass viele Millionen arbeitsloser Menschen daran gehindert werden, zu tun, was dringend erforderlich wäre. Auch in reichen Ländern werden sie massenhaft ins Elend gedrängt.
Krisenbewältigung auf kapitalistische Art (Kapazitätsvernichtung bei gleichzeitiger Verschärfung der Diskrepanz von Produktivität und Kaufkraft) schafft nur die Voraussetzung dafür, dass neue, noch tiefere Krisen erzeugt werden.

Es ist eine Machtfrage.
Demokratisch, durch eine Veränderung des Kräfteverhältnisses erzwungene Umlenkung der Produktivkräfte für gesellschaftlich notwendige Aufgaben ist dringend nötig. Aber auch solche Erfolge (wenn sie denn erzielt werden können) werden immer wieder aufs Neue an die Grenzen der kapitalistischen Verwertungsinteressen stoßen, solange diese Wirtschaft und Gesellschaft dominieren.
Die Probleme summieren sich auf. Die Krise und die Folgen ihrer imperialistischen Bewältigungsstrategie tragen den Bazillus in die entferntesten Winkel der Erde. Die allgemeine kapitalistische Überproduktionskrise verschärft sich selbst, weil sie die kaufkräftige Nachfrage immer weiter zerstört.
Die (auch ökologisch bedingte) Krise des „Wirtschaftsmotors Autoindustrie“ wird nicht mit sinnvoller Produktkonversion beantwortet, sondern mit blind wirkender Kapazitätsvernichtung. Unabsehbare wirtschaftliche und soziale Folgen belasten die Gesellschaft.
Darüber hinaus machen die Autokonzerne ihren ganzen Einfluss geltend, um auch künftig hohe Exportüberschüsse zu erzielen und somit eine wesentliche Ursache der Krise fortzusetzen.
Das alles verdichtet sich zu einem „Gordischen Knoten“, dem mit einzelnen Reformen nicht mehr beizukommen sein wird. Es geht um die Befreiung der Gesellschaft überhaupt, von einer Logik, in der der Profit der Maßstab aller Dinge ist.
Weil das Kapital die Gesellschaft sabotiert, muss es abgeschafft werden. Weil die Profitlogik in letzter Konsequenz in die Katastrophe führt (führen muss), müssen Auto-Konzerne (wie auch Banken, Versicherungen, Rüstungs- und andere Großkonzerne) nach Artikel 15 des Grundgesetzes, zur Durchsetzung des Allgemeinwohls, vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Demokratische Kontrolle könnte durch Belegschaften, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände etc. ausgeübt und gestaltet werden.
Der einzige Luxus, den wir uns nicht leisten können, sind die kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse. Danach ist alles machbar.

Sozial is muss!

Quellenangaben:

(1) Stuttgarter Zeitung 10.09.2014

(2) Winfried Wolf „Boom und Zerstörung Die weltweite Autobranche Anfang 2015“ in lunapark 21 Extra 10

(3) Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2011 – Broschüre des Statistischen Landesamtes Baden Württemberg „Heiligs Blechle – 125 Jahre Automobil“

(4) Bei Redaktionsschluss im Planungsstadium, siehe Stuttgarter Zeitung 1. Juli 2015

(5) ver.di-Aufruf „Rettet Bus und Bahn“ Berlin 2. Juli 2015

(6) siehe SWR-Produktion „Hungerlohn am Fließband“

(7) Winfried Wolf „Weltwirtschaftskrise und Krise der weltweiten Automobilindustrie“ in Lunapark21 Extra 02, Oktober 2009 und „Feuern aus vier Rohren Die wechselvolle Geschichte des Daimler Imperiums“ in Lunapark21 Extra 10, Winter 2015

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