Wer VW regiert? Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Wer VW regiert ?

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von Lucas Zeise

Es hätte noch schlimmer kommen können. Man nehme nur einmal an, die bedingungslose Loyalität der Bundesregierung zur heimischen Autoindustrie stünde in Frage. Etwa in der Art, dass sie den Vorrang für die schönen, schnellen und teuren Flitzer zurücknehmen würde, statt dessen die Bahn und die Schiene fördern würde, dass sie die steuerliche Begünstigung von Dienstwagen abschaffen wollte oder gar den Ausstoß von Schadstoffen aus den hochgezüchteten Motoren scharf begrenzen und – entsetzlicher Gedanke – auch ebenso scharf kontrollieren würde. Die großen drei Profitmaschinen Daimler, BMW und Volkswagen wären nur ein Schatten ihrer selbst, und der Exportüberschuss Deutschlands wäre nicht der höchste der Welt.

Aber schon so – da der Angriff von außen kommt – ist die Angelegenheit schlimm genug. Er ist schwer zu parieren. Man kann kaum die US-Aufsicht und Justiz tadeln, wenn man sonst ihren weltweiten Zugriff gutheißt. Dass sie in ihrem heimischen Automarkt die Regeln bestimmen, kann schlecht angefochten werden. Es blieb also gar nichts anderes übrig, als zu Kreuze zu kriechen. Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG und bestbezahlte Manager in Deutschland, trat zurück. Würde sich damit die Politik des Konzerns ändern? Vielleicht wenigstens zum Schein?

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Aber nicht doch. Der Aufsichtsratsvorsitzende, ein gewisser Berthold Huber, früher im Hauptberuf Vorsitzender der IG Metall, fand zum Abschied warme Worte des Dankes für Herrn Winterkorn. Huber kennt sich als gnädiger Aufsichtsrat in deutschen Großkonzernen aus, die ins Visier der US-Justiz geraten, weil wie im Fall Siemens korrupte Praktiken zu offensichtlich sind. Neben Huber stand bei der Abschiedslobpreisung Winterkorns anthroposophisch verklärt und milde lächelnd Wolfgang Porsche, der Vertreter des Eigentümerclans. Die Familien Porsche und Piëch haben ihren Volkswagen-Besitz (knapp über 50 Prozent der Stammaktien) in der Porsche Automobil Holding SE gebündelt. Hier handelt es sich nicht um die VW-Tochtergesellschaft, die Porsche-Autos produziert, sondern eine kleine Firma mit nur etwa zwanzig Beschäftigten, die zwei Dinge für den Clan erledigt: Sie legt das viele Geld, das aus den Volkswagen-Gewinnen kommt, profitabel an. Sie setzt zweitens den Willen des Clans im VW-Konzern durch. Praktischerweise war Martin Winterkorn deshalb Vorstandsvorsitzender sowohl bei der Porsche SE als auch bei Volkswagen.

Der Aufsichtsrat der Porsche SE unter Vorsitz Wolfgang Porsches tagte einen Tag nach dem Rücktritt Winterkorns als VW-Boss – und ließ ihm den Job als Vorstandsvorsitzender bei der Porsche SE. Deutlicher konnten die Großaktionäre nicht ausdrücken, dass sie mit Winterkorns Leistung zufrieden sind. Er hat den Willen des Eigentümerclans zu dessen vollster Zufriedenheit im VW-Konzern umgesetzt. Der neu bei VW bestellte Chef, ein gewisser Matthias Müller, kann sich seine Instruktionen, wie VW weiter zu führen ist, als Vorstand bei der Porsche SE und bei Herrn Winterkorn abholen.

Quelle: Zeitung Junge Welt vom 02.10.2015

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