Neue Ausgabe der Roten Spritze
Wir veröffentlichen hier in Auszügen die Rote Spritze vom November 2020 – Information des Branchenaktivs Gesundheitswesen der DKP. Die vollständige Ausgabe gibt es als PDF.
Corona-Karussell im Klinikum
Corona bringt das Klinikum ins Rotieren:
Intensivpflichtige Patienten des KBC – ohne Corona – werden fast 10 km durch die ganze Stadt durch ins Katharinen-Hospital gefahren, intensivpflichtige Corona-Patienten aus dem Katharinen-Hospital werden durch die ganze Stadt durch nach Cannstatt ins KBC gefahren – jeweils in Begleitung von qualifiziertem Personal – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Pflegepersonal wird zwischen den Kliniken hin- und her geschoben –
Aus Furcht vor allem vor finanziellen Verlusten wird auf planbare Eingriffe nicht verzichtet.
Bundesdeutsche Krankenhausbeschäftigte haben ein deutlich widerstandsfähigeres Immunsystem als der Rest der Menschheit?!
Heimgesucht von Sars-CoV-2, dem CoVid-19-Erreger, sind sie in der Lage, weiterzuarbeiten, am besten bei der Versorgung von Patienten, die ebenfalls an CoV-19 erkrankt sind und z.B. beatmet werden.- (das ist geradezu wie wenn man unmittelbar vor dem eigenen Ableben noch schnell sein Grab ausheben soll)….Dann haben sie das Virus so gut im Griff, dass es weder in der maskenfreien Pause, die ja nach 2Stunden Arbeit mit FFP2-Masken vorgeschrieben ist, noch auf dem Weg zur und von der Arbeit davon springt, um sich auf lieben Mitmenschen anzusiedeln…
Das Robert-Koch-Institut hat diesen Umstand schon lange entdeckt und nicht nur die Quarantänezeit für Krankenhauspersonal, verkürzt von 14 auf 10 Tage, sondern auch die Weiterarbeit z.B. von infiziertem Pflegepersonal erlaubt – wenn´s nicht anders geht. Natürlich geht’s nicht anders – Mehr-oder Ersatzpersonal – das wär ja auch viel zu teuer! Wo bliebe denn da die Renditeerwartung von Klinikkonzernen und Pflegeheimbetreibern?? Wo die „Schwarze Null“ des Klinikums, die doch im nächsten Jahr erreicht werden soll?
Dass inzwischen die Hälfte der Corona-Toten aus solchen Einrichtungen kommt, erleichtet darüber hinaus die Renten- und Pflegekassen – honisoitqui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt…
Bundesdeutsche Krankenhausbeschäftigte sind um vieles belastbarer als der Rest der Menschheit?!
Die Mindestbesetzungsregelung für Krankenstationen wurden im Frühjahr als erstes kassiert, als Herrn Spahn endlich aufging, was die Corona-Pandemie für das heruntergefahrene Gesundheitswesen bedeutet – wer einen Patienten versorgen kann, schafft auch 2 oder 3 oder 4 und mehr….
Reanimation von „OMA KrAZO“:
Angesichts dramatisch steigender Infektionszahlen setzt die niedersächsische Landesregierung noch einen drauf und zieht eine Regelung von 1924 (die Krankenhausarbeitszeitordnung KrAZO) aus der Mottenkiste der Geschichte, die 1994 nach heftigen Kämpfen mühsam abgeschafft wurde:
60-Stunden-Woche für Krankenhausbeschäftigte, 12-Stunden-Schichten und Verkürzung der Ruhezeiten zwischen den Schichten auf 9 statt 11 Stunden.
Der Mediziner Eckhard Nagel sagte der Augsburger Allgemeinen, die Arbeit in medizinischer Schutzkleidung sei „enorm anstrengend“. Im chinesischen Wuhan seien sowohl die Infektionsraten innerhalb des Gesundheitspersonals als auch die Sterberaten unter Patientinnen und Patienten gesunken, als die Arbeitszeit auf 6 Stunden verkürzt worden sei. „Bei den Patienten sank die Sterblichkeitsrate, weil man sie besser behandeln kann, und als zweites haben sich deutlich weniger Klinikmitarbeiter mit COVID-19 in der Arbeit angesteckt“, sagte Nagel, der die Bundesregierung in Fragen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich berät und Vizepräsident der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft für Medizin ist
Aus dieser Erfahrung lasse sich auch generell für die Zukunft der Versorgung von schwerstkranken Patientinnen und Patienten etwas lernen, fügte der Mediziner hinzu, der lange Mitglied des Deutschen Ethikrats war.
Keine Bundeswehr im Krankenhaus
Militarisierung stoppen
Vereinfachtes Regieren über die Verordnungsermächtigungen des Infektionsschutzgesetzes verführt zur Umsetzung lang gehegter Vorhaben: den Einsatz der Bundeswehr im Inneren – was aus leidvoller Erfahrung heraus grundgesetzlich verboten ist – von extremen Notfällen abgesehen.
15 000 Soldaten stehen bereit:
sie werden als Amtshilfen zur Kontaktverfolgung in den Gesundheitsämtern eingesetzt, als Zugangskontrolleure an Krankenhaushauseingängen, in Behandlungszimmern, in Abstricheinrichtungen – wer prüft und rechtfertigt denn die Notwendigkeit angesichts über 2,8 Millionen Arbeitslosen? Davon über 70 000 allein in der Region Stuttgart?
Wenn die politisch Verantwortlichen den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in dieser Pandemie wirklich helfen wollten, würden sie als erstes die Gelder für den Militärhaushalt ins Gesundheitswesen umlenken.
Die IPPNW-Ärzte für soziale Verantwortung hat folgende Rechnung zur Anschaffung von den 7,46Mrd teuren F16-Atombombern präsentiert:
„Würde man also diese angenommenen 7,46 Mrd. Euro ins deutsche Gesundheitssystem investieren, könnte man damit in einem Jahr 100.000 Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte sowie die Gehälter von 60.000 Krankenpfleger*innen und 25.000 Ärzt*innen finanzieren.“
„So schlecht wie ich bezahlt werde, kann ich gar nicht arbeiten!“
So stand es auf einem Schild bei der großen Demonstration der zurückliegenden Tarifrunde – Ein wahres Wort! Wenn wir Beschäftigte der Krankenhäuser für unsere Arbeit so viel bekämen wie wir verdienen, ginge es uns besser, Aber wir (zumindest die meisten von uns) bekommen eher einen Hungerlohn. Das war vor der Tarifrunde so und wird auch danach so bleiben.
In den letzten Jahren sind deshalb Zehntausende (vor allem aus den Pflegeberufen) „geflohen“, haben sich eine andere Arbeit gesucht. Der Personalnotstand kommt auch daher.
Zu der Unterbezahlung kommt der Personalmangel – hoffnungslose Überlastung, die wiederum zu weiterer Flucht aus dem Beruf treibt. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Hoffnung Tarifrunde?!
Daran wollten (und müssen wir noch) was ändern. Dass so viele von uns sich in der Tarifrunde an den Streiks, der Großdemonstration, der Solidaritätskundgebung vor dem KH, der Menschenkette beteiligten kam auch von der Wut darüber, wie wir verarscht werden.
Erst waren wir „die Helden“, die von den Balkonen, in den Talk-Shows, in Sonntagsreden beklatscht wurden – dann wurden wir (unter anderem auch von OB Kuhn) als verantwortungslos diffamiert, weil wir für unsere berechtigten Forderungen kämpften.
Schon die Forderung war bescheiden
4,8% mit Laufzeit von einem Jahr, hätten die Unterbezahlung, die Unterbesetzung, die Flucht aus dem Beruf nicht ausgeglichen. Dass es dann sogar dafür nicht zum Erzwingungsstreik kam, sondern mit der „Verhandlungslösung“ praktisch zum Rückzug geblasen wurde, hat Viele enttäuscht.
Dabei war es doch schon ein Unterschied zu anderen Gewerkschaften (z.B. der IG-Metall) dass die ver.di sich nicht von vorneherein mit einer Nullrunde abspeisen lies sondern den Kampf aufgenommen hat. Warum kam es nach der anfänglichen kämpferischen Mobilisierung zu diesem Schwenk? Das werden wir in unserer Gewerkschaft noch diskutieren müssen.
Es muss ein gewaltiger politischer Druck gewesen sein, der da von einer ganz großen Koalition von Kapital und Kabinett auf unsere Verhandlungsdelegation ausgeübt wurde.
Was heißt System-relevant?
In den Kommentaren der Politiker (fast) aller Parteien und in den Massenmedien wurde dieser Druck anschaulich. In der Krise müsse Vorrang haben was System-relevant ist. Das Gesundheitswesen kam dabei (trotz Corona) bemerkenswert wenig vor.
So schimmert in der Aufregung der Tagespolemik manchmal die Wahrheit durch. Es stimmt! Für dieses System ist die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung so wenig vordringlich wie die Arbeitsbedingungen der Menschen.
Dieses System, der Kapitalismus steckt seit langem in einer tiefen Wirtschaftskrise, die durch Corona verschärft, aber nicht ursächlich ausgelöst wurde.
Die Namen änderten sich von Öl – Krise in Bankenkrise und jetzt eben in Corona-Krise aber sie ist immer noch da …
Das System, in dem der Profit der Maßstab aller Dinge ist, hat keine Antworten mehr auf existenzielle Menschheitsfragen. Es hat abgewirtschaftet.
Um es dennoch zu retten wird alles „geopfert“ was an sozialem und demokratischem Standard errungen wurde. Um dieses System zu retten wird die Umwelt zerstört, wird die Rüstung aufgebläht, werden weltweit Kriege angezettelt.
Dabei könnten ohne dieses System die dringenden Menschheitsprobleme gelöst werden. Für dieses System wollen wir nicht relevant sein es ist nicht menschheitsrelevant. Es muss überwunden
werden.
Das Ergebnis der Tarifeinigung
4,8 % – das ist bescheiden, so der Titel der Roten Spritze vom September. Was wurde von der Forderung 4,8 %, mindestens aber 150 € mehr, 100 € für die Azubis, 39 Stunden Arbeitszeit auch im Osten, Laufzeit 12 Monate erreicht?
Die Lohnforderungen:
Statt 4,8% mehr für 12 Monate (also bis August 21) gibt es sieben Null-Monate und dann für die restlichen fünf Monate 1,4 %. Das entspricht 0,6 % Lohnerhöhung. Statt mindestens 150 € mehr, also 1 800 € gibt es 7 Nullmonate, dann 50 € mehr, also 250 €.
Azubis:
Statt 100 € mehr, also 1 200 €, gibt es sieben Nullmonate, dann 25 € mehr, also 125 €.
Arbeitszeit im Osten:
Statt Verkürzung auf 39 Stunden ändert sich an der Arbeitszeit im Osten bis Ende der geforderten Laufzeit gar nichts
Laufzeit:
Statt 12 Monate Laufzeit, nun 28 Monate.
Insgesamt:
Bis zum Laufzeitende im Dezember 2022 gibt es also 1,4 % mehr ab April 21, 1,8 % ab April 22.
Die Azubis bekommen 25 € mehr ab April 21 und nochmal 25 € ab April 22.
Die Arbeitszeit im Osten wird ab Anfang 22 um eine halbe Stunde verkürzt, gleiche Arbeitszeit wie in Baden-Württemberg gibt es ab April 23 und 38,5 Stunden erst ab 2025.
Ver.di spricht von einer Steigerung bei Pflegekräften um 8,7 %. Um diese Zahl zu erreichen, wird einiges hinzugerechnet.
Die Pflegezulage:
70€ ab März 21. Ab März 22 wird sie auf 120 € erhöht. Eine solche Pflegezulage bekommen die Länderbeschäftigten bereits länger, ebenso die Unikliniken. Dort allerdings 200 €.
Die Coronaprämie:
Je nach Verdiensthöhe 600, 400 oder 300 € noch dieses Jahr. Die Altenpflegekräfte bekamen bereits eine Prämie von 1 500 €.
Weitere Erhöhungen gibt es:
bei Wechselschichtzulage, Intensivzulage, beim Samstagszuschlag und bei der Jahressonderzahlung.
Fazit:
Es hat keinen Sinn, dieses Ergebnis schönzurechnen, denn dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit von Verdi bei. Denn schon im Vorfeld hatte Verdi von „angepassten Abschlüssen“ (also 1,2 % und 1,1 %) wie in der Finanz-und Wirtschaftskrise 2010 gesprochen (siehe Rote Spritze vom September).
Es ist nun dringend geboten, sich in der Gewerkschaft über das in dieser schwierigen Situation Erreichte und Nicht-Erreichte auseinanderzusetzen. Nur so kann es besser werden.