Neue Ausgabe der Roten Spritze – Jetzt Mindestpersonalbemessung betrieblich durchsetzen

Wir veröffentlichen hier in Auszügen die Rote Spritze aus dem August 2021 – Information des Branchenaktivs Gesundheitswesen der DKP-Stuttgart. Die vollständige Ausgabe gibt es als PDF.

Spahn mauert! Er weigert sich, PPR 2.0 gesetzlich in Kraft zu setzen!

Die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0) wurde im Auftrag der „Konzertierten Aktion Pflege“ von der DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft), dem Deutschen Pflegerat und ver.di für das Bundesgesundheitsministerium erarbeitet und vor eineinhalb Jahren an Minister Spahn übergeben. Der weigert sich jedoch die PPR gesetzlich umzusetzen. Deswegen hat die DKG nun ihre Mitgliedskrankenhäuser aufgefordert, diese auf freiwilliger Basis im eigenen Krankenhaus einzuführen.

… der Einen Leid

„Begonnen hat die desaströse Situation der Pflege mit der Abschaffung der Pflegepersonalregelung (PPR) Mitte der 90er- Jahre. Gleichzeitig wurde es den Krankenhäusern erlaubt Gewinne zu machen. Nachdem die Bundesländer ihre Pflicht, die notwendigen Investitionsmaßnahmen der Krankenhäuser zu finanzieren, nur noch zur Hälfte nachkommen, wurde aus der Erlaubnis Gewinne zu machen eine Notwendigkeit um Investitionen finanzieren zu können. Und die Einführung der Fallpauschalen (DRGs) gab den entscheidenden Anreiz, der unter dem Finanzdruck ebenfalls zum Zwang wurde, mit möglichst wenig Personal die zunehmende Menge an Patient/Innen zu „versorgen“.
Die Folge war die Vernichtung von 100.000 Arbeitsplätzen in den deutschen Krankenhäusern, dabei 50.000 Stellen in der Krankenpflege innerhalb von 10 Jahren“. (Aus der Stellungnahme des Personalrats des Klinikums zur Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags vergangenen November).
Soweit die Folgen für Beschäftigte und Patienten..

… der Anderen Freud

Mittels dieser und anderer Maßnahmen wurden die Kliniken für Privatisierungen attraktiv gemacht. Inzwischen liegt der Umsatz der drei größten privaten Klinikbetreiber bei zwischen 2,5 und 6 Milliarden Euro. In keiner Branche gibt es mehr Firmenzukäufe als im Gesundheitssektor. Die Unternehmensberatung Mc Kinsey bezeichnet Kliniken als„einmalige Gelegenheit“ für Investitionen mit Renditen zwischen 13 und 15 %. Die Wirtschaftswoche jubelt „Die Anlagetipps der Woche. Asklepios – gesunde Rendite“.

Personalrat Klinikum startet Initiative

Bereits in den Personalversammlungen Ende 2019 stellten Personalrat und Anstaltsleitung in Aussicht eine
Entlastungsvereinbarung im ersten Quartal 2020 zu erarbeiten und abzuschließen. Nun hat der Personalrat im Juli 2021 eine Dienstvereinbarung Arbeitsschutz vorgelegt um im ersten Schritt für das Pflegepersonal bei „Guter Arbeit Gute Pflege“ verwirklichen zu können. Dazu sollen verschiedene Pflegepersonalregelungen in Kraft treten: In der Psychiatrie die „PPP-RL“ zu 100 %, auf Kinderstationen „GKind“, auf Intensiv und IMC-Stationen „Impuls“, auf allen anderen Stationen die PPR 2.0. Ist dann die tatsächliche Schichtbesetzung geringer als vorgesehen, sollen zwingende Entlastungsmaßnahmen ergriffen werden und die Kolleg/Innen freie Tage als Belastungsausgleich erhalten.

Und was macht die Anstaltsleitung?

Außer schönen Worten, Mitgefühl und Danken ist da bislang kaum etwas geschehen. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass die Initiative des Personalrats auf Gegenliebe stößt .Pflegedirektor Hommel (Teil der Anstaltsleitung sowie u.a. Vorsitzender des Bundesverbandes Pflegemanagement Baden-Württemberg (BW), stellvertr. Vorsitzender des Landespflegerats BW, …) hätte längst die PPR 2.0 für das Klinikum einführen können, zumal diese schnell und ohne großen bürokratischen Aufwand umgesetzt werden könnte, wie ein Testlauf in 50 Krankenhäusern gezeigt hat. Doch dies scheint nicht sein Interesse zu sein. Klar, die Anstaltsleitung will ja nicht, dass jeder und jedem Pflegenden täglich vor Augen geführt wird für wie viele Kolleg/Innen sie mitarbeiten müssen, weil die Stellen nicht besetzt sind. Denn so etwas kann zu Aufmüpfigkeit führen, zu gewerkschaftlichem Engagement, zu höheren Lohnforderungen, zu Streikbereitschaft.
Übrigens sind momentan im Klinikum über 120 Pflegestellen nicht besetzt über 20 Ärzt/Innen-Stellen, über 20 im Wirtschafts und Versorgungsdienst und über 20 im Verwaltungsbereich. Auch technische Abteilungen wie z.B. die Steri sind unterbesetzt. Für all diese fehlenden Kolleg/Innen arbeiten die Beschäftigten unentgeltlich mit. Wären diese Stellen alle besetzt, wäre der Defizit-Betrag des Klinikums noch um viele Millionen Euro höher (siehe Seite 3). Aber dann müssten ja die Steuergelder im Sinne ihres eigentlichen Zwecks, nämlich für die öffentliche Daseinsvorsorge ausgegeben werden, statt sie den Super-Reichen in den Rachen zu werfen oder für Rüstung und Kriegsvorbereitung zu verpulvern.
Freiwillig jedenfalls machen die Klinikleitungen, die ja nach betriebswirtschaftlichen Prämissen in einem umkämpften Markt agieren keine Zugeständnisse.

Druck aufbauen!

Die Vorlage der Dienstvereinbarung Arbeitsschutz mit der „Bitte“ an die Krankenhausleitung diese „ durch ihre Unterschriften in Kraft zu setzen“ und die Kolleg/Innen „über Verhandlungen und Ergebnisse auf dem Laufenden halten“ (alles aus PR-Info „Zur Sache“ 5/2021) wird nicht ausreichen. Dazu muss Druck aufgebaut werden: Mobilisierung, Aktionen, Öffentlichkeit und es bedarf auch der Unterstützung von außerhalb des Klinikums. Einen Weg, wie Druck aufgebaut werden kann haben die Berliner Kolleg/Innen der Charité und Vivantes aufgezeigt.

Solidarität mit den Beschäftigten der Charité und von Vivantes in Berlin

Am 12. Mai 2021, zum Tag der Pflege, verkündigten Beschäftigte und ver.di – Aktive von Vivantes, Charité und ihren Tochterunternehmen ein 100-Tage-Ultimatum an den Berliner Senat und die öffentlichen Krankenhausträger der Stadt. Zusammen mit einer Petition und über 8 000 Unterschriften fordern sie die Bezahlung Aller nach TV ÖD und einen Entlastungstarifvertrag.
Das Ultimatum läuft am 20. August ab und ver.di lässt keinen Zweifel: „Wenn bis zum Ablauf des Ultimatums bei den Arbeitgebern kein Einigungswille festzustellen ist, kommt es zum Streik“.

Und so wird Druck aufgebaut:

Seit dem Mai gab es viele betriebliche Aktionen, Warnstreiks (die zum Teil verboten werden sollten) , Versammlungen, Demonstrationen, öffentliche Unterstützungsaktionen usw. Auch 28 Mitglieder des Abgeordnetenhauses und 59 Kandidaten, sowie etliche Bezirksverordnete und Bürgermeister unterstützen das Anliegen der Beschäftigten, ebenso der Fußballverein Union Berlin, der sein Stadion für Versammlungen zur Verfügung stellte.

Unsere Solidarität gilt den Kolleginnen aus Berlin. Ihr Kampf ist unser Kampf!

 

Was passiert, wenn die „Schwarze Null“ platzt

Betrug das (durch die Stadt auszugleichende) „Defizit“ des Stuttgarter Klinikums 2015 noch 27,6 Mio. Euro, waren es 2016 noch 23,7 Mio., im Jahr 2017 noch 18,9 Mio. im Jahr 2018 noch 15 Mio. und 2019 noch 11,2 Mio.; Ausnahme 2020 ­ da stieg das Defizit corona­bedingt auf 43,4 Mio. Aber auch wenn der Plan, die Zuschüsse ganz zu streichen, gestreckt wurde, sie sollen auf null reduziert werden! Auf dieses Ziel haben sich der Personalrat und die Gewerkschaften in dem 4­seitigen Vertrag verpflichten lassen, der 2018 die Umwandlung des Klinikums in die Kommunalanstalt besiegelte.

Das ausgeglichene Betriebsergebnis scheint in weiter Ferne

Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern – das Ziel schwarze Null scheint auch dieses Jahr nicht erreicht zu werden. Und das nicht nur wegen Corona. Am 17. Juni wurde in der StZ. der Stuttgarter Finanz- uns Krankenhausbürgermeister Fuhrmann (CDU) zitiert – um die Finanzierung der Krankenhäuser im Land stünde es schlecht, das Land müsse die „milliardenschwere Lücke schließen. Konkret auch der Appell an Bund und Land „Die Stadt Stuttgart will mehr Geld für das Klinikum“. Appellieren kann man ja mal. Erinnert sei daran, dass Fuhrmanns Partei in Land und Bund in der Regierung sitzt. Am Kaputtsparen der Krankenhäuser ist sie maßgeblich beteiligt.

Kostenexplosion beim Umbau

Laut Krankenhausfinanzierungsgesetz sind die Bundesländer für die Finanzierung der Bauten, des Unterhalts und der Investitionen zuständig. Die Tatsache, dass auch Baden Württemberg dieser Verpflichtung nur sehr lückenhaft nachgekommen ist, ist eine der wesentlichen Ursachen der prekären Finanzsituation.

Und die Kosten für die Umstrukturierung und den komplexen Um- teilweise Neubau des Stuttgarter Klinikums steigen und steigen. Schon Ende Januar 2020 stellte die StZ. nüchtern fest „Es dürfte also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bei den 1,35 Milliarden Euro bleiben“ und „Angesichts der jüngsten Entwicklung stellt sich einmal mehr die Frage, wer die weiter auflaufenden Mehrkosten tragen muss, die Stadt, oder das Klinikum selbst“.

Der Personalrat darf nicht zum Sparkommissariat werden

Dass der Personalrat betonte, dies dürfe nicht zu Lasten der Belegschaft gehen war und ist eine gute Ansage. Die Aufforderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, PPR 2.0 nun betrieblich umzusetzen ist ein guter Prüfstein dafür. Der PR darf sich nicht zum Sparkommissariat für Fuhrmanns „Schwarze Null machen lassen.

Verlustausgleich nur noch wenn alles ausgeschöpft ist?

Nicht nur die DKP hat 2018 vor den Folgen Rechtsform-Änderung des Klinikums vom städtischen Eigenbetrieb in die Kommunalanstalt gewarnt. Schließlich war klar, dass die Stadt sich ihrer Verlustausgleichsverpflichtung entledigen wollte (Siehe oben). Trotzdem haben sich Personalrat und Gewerkschaften auf das „ Ziel eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses ab 2021verpflichten lassen. In dem Vertrag heißt es: „…dass die Landeshauptstadt als Anstaltsträgerin einen Verlustausgleich vornimmt, sofern ein eventueller Jahresverlust nur unter (teilweisem) Verzehr des festgesetzten Stammkapitals ausgeglichen werden kann“. (Hervorhebung durch „Rote Spritze“)

Nur wenn´s anders überhaupt nicht geht? – Was kann das bedeuten?

Soll der Personalrat (sozusagen als Co-Manager) in eine rigorose Sparpolitik eingebunden werden?

  • Weiterhin Stelleneinsparungen ?
    Der Personalschlüssel ist für (fast) alle Bereiche zu gering und sogar er wird nicht eingehalten.
  • Privatisierung?
    Die Stadt Offenbach hat ihre Klinik für 1.- € an die SANA verkauft. In Stuttgart nützt die SANA heute schon die Klinikums Gebäude- und Infrastruktur.
  • Ausgründungen?
    Die SANA hat ihre Service Dienste erst in eine Service-Gesellschaft ausgegründet und diese dann geschlossen. Tausend Kolleg/Innen gefeuert.

Im Stuttgarter Klinikum sind Ausgründungen nur mit Zustimmung des Personalrats möglich. Aber wer sagt dass er nicht zustimmt, wie 2017 beim Verkauf der Personalwohnheime?

Das Gleiche gilt für Sozialeinrichtungen, Kantine, Kindergarten usw.

Kostenneutralität? Warum überhaupt?

Alljährlich begeht der Bund der Steuerzahler den „Steuergedenktag“. Das ist der Stichtag an dem rechnerisch der Normalsterbliche aufhört für den Staat – und anfängt für sich selbst zu arbeiten. Letztes Jahr war das der 9. Juli. Nachdem die Unternehmer aus unserer Arbeit Profit geschlagen haben, arbeiten wir also mehr als die Hälfte der Zeit für den Staat. Aber alle öffentlichen Leistungen müssen wir noch einmal bezahlen, möglichst mit Gewinnspanne. So soll auch das Gesundheitswesen nichts kosten, sogar profitabel sein. Unser Steuergeld den superreichen Banken und Großkonzernen als Subventionen in den Rachen zu werfen, statt für Sozialaufgaben, das ist Veruntreuung! Das hat System. Dieses System heißt Staatsmonopolistischer Kapitalismus.

Frust, Ängste und Druck Lage der Azubis aus der Pflege

Eine Auszubildende (Name ist der Redaktion bekannt) gab der SDAJ nachfolgendes Interview

SDAJ: Viele Azubis am Klinikum sind frustriert. Wieso ?

Weil während der Pandemie einiges für sie gestrichen wurde, dazu gehört nicht nur der Unterricht an der Bildungsakademie, sondern auch die notwendige Vorbereitung auf das Examen. Dass online Unterricht aufgrund der Pandemie Lage stattfindet, ist nachvollziehbar. Jedoch sollte trotz allem gewährleistet werden, dass Azubis sich auf ihr Examen vorbereiten können.

SDAJ: Ist das nicht ausreichend der Fall?

Nein. Leider erleben viele Azubis das Gegenteil. Die Realität ist leider, dass wir fast alle Inhalte selbstständig erarbeiten müssen. Manche von uns sind bis zu 10 Stunden am Tag am lernen. Umso weniger Verständnis gibt es für die Entscheidung der Bildungsakademie, den Azubis keine Unterrichtsmaterialien in print- form zur Verfügung zu stellen, die sie eigentlich im Präsenz Unterricht erhalten hätten. Wichtige Skripte müssen kostenaufwändig in Copy -Shops ausgedruckt werden. Eine Erklärung oder Stellungnahme von der Schulleitung gab es hierzu auch nicht.

SDAJ: Wie wirkt sich die Corona-Situation auf das Lernen aus?

Die Lage ist sehr bedrückend. Gerade für Azubis, die kurz vor ihrem Examen stehen, wächst der Druck. Sie haben nicht den Eindruck, dass ihnen aufgrund der Pandemie Hilfen oder Erleichterungen gewährleistet werden. Viele befürchten durch das Examen zu fallen. Zwar gibt es von den Pflegepädagogen online Unterstützung, jedoch scheint das Problem eher ein übergeordnetes zu sein. Denn es geht darum, dass viele Inhalte nicht anforderungsgerecht gelehrt werden konnten, wie es vor der Pandemie der Fall war. Viele wünschen sich eine Anpassung des Examens an den online Unterricht.

SDAJ: Wie sieht es mit der praktischen Ausbildung aus?

Auch im praktischen Teil ist es schwierig. Die allermeisten Azubis haben im Impfzentrum ausgeholfen und somit weniger auf Station gearbeitet. Die eh schon viel zu selten stattfindende Anleitung für das Examen, wurde durch diesen Einsatz auch geopfert.Wie wertvoll Anleitung für Azubis und die Ausbildungsqualität ist, scheint leider keine große Rolle zu spielen. Denn statt die Anleitung auszubauen, müssen Anleiter/Innen und Azubis gemeinsam dafür kämpfen überhaupt auf ihre Stunden zu kommen. Viele stellen sich die Frage, wie es sein kann, dass in Zeiten der Pandemie, wo der Personalmangel immer stärker spürbar wird, den zukünftigen Pfleger/Innen so wenig Wertschätzung entgegengebracht werden kann.

Admin