Der Retter der Autokonzerne

Am 6. Mai fand wieder Mal ein „Gipfel“ zwischen der Bundesregierung und der Automobilindustrie statt. Es war einer von vielen und sicherlich auch nicht der letzte. Das Hauptproblem der Autokonzerne konnte dabei nicht gelöst werden: die „normale“ Überproduktionskrise. Das war auch nicht zu erwarten. Denn die Überproduktionskrise ist eine gesetzmäßig wiederkehrende Krise des Kapitalismus – mit all ihren negativen Folgen für die Arbeiterklasse.

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, drängte auf staatliche Zuschüsse beim Kauf von Autos. Diese „Prämien“ für Autokäufe kamen dieses Mal noch nicht zustande. Warum nicht? Einen Grund dafür nannte Frau Müller in einer Talkshow bei Anne Will selbst: Es gibt keinen „Run“ auf die wiedereröffneten Autohäuser. Oder anders ausgedrückt: Derzeit will niemand Autos kaufen.

Wen wundert es? Derzeit macht die Arbeiterklasse, nebst Kopfarbeiterinnen Kopfarbeitern und Soloselbstständigen, die Erfahrung, wie labil ihre Einkommen sind. Einen weiteren Grund nannte Finanzminister Olaf Scholz in der Will-Show. Der Bevölkerung sei schwer vermittelbar, dass „der Staat der Autoindustrie weitere Milliarden spendiere, solange diese Dividenden und dicke Boni auszahlen“. Also, so der Rat der Politik an die Autobauer, lassen wir lieber ein bisschen Gras über die Sache wachsen.

Gegen die Teilfinanzierung der Autos durch den Staat haben die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker nichts einzuwenden – nur „Abwrackprämie“ soll es nicht mehr heißen dürfen, das klingt zu negativ. „Recyclingprämie“ klänge besser, twitterte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Das Wechselspiel von Politik und Wirtschaft läuft wie geschmiert. An kaum einem anderen Beispiel wie der Autoindustrie kann so „eindrucksvoll“ aufgezeigt werden, was staatsmonopolistischer Kapitalismus ist – das heißt, wie der Staat als Krisenmanager die Interessen des Kapitals vertritt.

Doppelte Krise
Der globale Automobilmarkt hat im Jahr 2019 einen signifikanten Rückgang erfahren, der bereits 2018 begonnen hatte. Bereits da gingen die Absatzzahlen von Pkw in den USA um 1,4 Prozent, in Japan um 2,1 Prozent, in Russland um 2,3 Prozent und in China um 9,5 Prozent zurück. 2019 hat sich dieser Trend fortgesetzt. Insgesamt ging es 2019 um 3,9 Prozent bergab – nur 78,6 Millionen Autos wurden verkauft. Zum Vergleich: 2018 waren es noch 81,8 Millionen Autos.

Die Krise in der Automobilbranche hat mit dem Coronavirus also nichts zu tun. Es ist eine der vielen Überproduktionskrisen, wie sie die kapitalistische Industrie seit mehr als einem Jahrhundert begleiten. Ein zusätzliches Problem der Konzerne ist, dass die Überproduktionskrise durch eine strukturelle Krise überlagert wird – diese ist auch noch mehrdimensional. Für viele jüngere Menschen ist das Auto nicht mehr ein Statussymbol, das man vor der Tür stehen haben muss. Die neuen Konsumtionsmethoden, durch Car-Sharing vorangetrieben und durch die „Digitale Wirtschaft“ ermöglicht, führen zwar nicht dazu, dass die Zahl der gefahrenen Kilometer merklich sinkt – und etwa die Umwelt geschont würde –, aber sie lassen die Anzahl der Fahrzeugzulassungen schrumpfen. Ein weiterer Grund: Einige „Märkte“ in anderen Ländern wollen „unsere“ Autos gar nicht mehr, weil sie selbst welche herstellen. Das trifft vor allem für den wichtigsten Absatzmarkt China zu.

Zuerst war also die Absatzkrise. Mehrere Autobauer wie Audi und BMW hatten bereits vor der Pandemie Dutzende Schichten in der Produktion heruntergefahren. „Wegen schwacher Nachfrage will der Autohersteller Volkswagen im Wolfsburger Stammwerk eine von drei Produktionsschichten des Golfs bis auf weiteres streichen“, meldet das „ZDF“ bereits im Februar 2019. Fiat-Chrysler streicht Schichten im Melfi-Werk (USA) schrieb die Fachzeitschrift „Automobil-Produktion“ im August 2019 und: „Im Audi-Werk Neckarsulm (Kreis Heilbronn) ist die Produktion für diese Woche bei vier Modellreihen gestoppt worden. Grund die schleppende Nachfrage bei Neckarsulmer Modellen“, meldete der „Südwestfunk“ im Oktober 2019. Das alles war lange vor der Pandemie.

Staatsmonopolistische Lösung
In derart gesättigten Märkten bleiben für das Kapital nur wenige Möglichkeiten, den Absatz zu halten oder sogar zu steigern. Zu ihnen gehören Leistungssteigerung und die Verbesserung des Komforts bei den Fahrzeugen oder das Ausweichen auf ausländische Märkte sowie Rabattschlachten und gesetzliche Maßnahmen des Staates, der Fahrzeuge per Gesetz als „nicht mehr betriebsfähig“ deklariert. All diese Maßnahmen wurden in den letzten Jahren bis zum „geht nicht mehr“ durchgezogen. Die 30 meistverkauften Neuwagen werden im Durchschnitt mit circa 19 Prozent Nachlass angeboten. Ford, Opel, Renault, Fiat und Hyundai gewährten für einzelne Modelle mehr als 35 Prozent Rabatt, wenn das alte Fahrzeug „entsorgt“ wurde. Die Verschrottung fahrbereiter Dieselfahrzeuge ist ökologisch und volkswirtschaftlich der reine Wahnsinn. Sinn macht er nur unter einer privaten Kapitalverwertung.

Retten muss nun wieder der Staat: „Der Abschwung kommt, die Automobilzulieferer sind in Not. Der Staat sollte helfen“, forderte denn auch „Die Zeit“ im Oktober 2019. Insbesondere der bundesdeutsche Staat macht dies bereits seit Jahrzehnten. Dazu gehört die direkte und unmittelbare Subventionierung der Autoindustrie – insbesondere durch die Forschungsfinanzierung an einigen hundert Hochschul- und staatlich finanzierten Forschungsinstituten, die sich mit allen Facetten des Motor- und Automobilbaus befassen. Hinzu kommen milliardenschwere Programme wie steuerliche Privilegien für sogenannte Dienstfahrzeuge oder die 2019 beschlossenen Kaufprämien für Elektrofahrzeuge.

Auch für die Öffentlichkeitsarbeit schieben die Konzerne in der Krise gerne den „ideellen Gesamtkapitalisten“ vor. Dazu eignen sich „Grüne“ wie Robert Habeck besonders gut. Habeck will die Kaufprämien allerdings „nur“ für Elektroautos. Für mehr sind Politiker wie Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) zuständig. In der „FAZ“ sagte er am 13. April: „Ein Weg wäre, die Prämie von 6.000 Euro beim Kauf eines Elektro­autos befristet aufzustocken oder gar Anreize auch für den Kauf modernster Benziner und Diesel zu setzen.“

Das Öko-Argument
Das Zusammenspiel von Automobilwirtschaft und Politik ist alt. Seine Wurzeln reichen bis in die Zeit des Faschismus – konkret in der Gründung der VW AG im Schulterschluss der Familie Porsche und Hitler. Für wie wichtig offensichtlich auch das internationale Kapital die Automobilindustrie in Westdeutschland als Element zum Erhalt des Kapitalismus betrachtete, kann aus der Tatsache geschlossen werden, dass eine eigentlich geplante Demontage und Verlagerung des Volkswagenwerks nach England unterblieb und mit dem VW Käfer gezielt ein Wohlstandsmodell an der Grenzlinie zwischen Sozialismus und Kapitalismus inszeniert wurde.

Das Auto wurde zum Fetisch und Statussymbol des Wirtschaftswunders und der angeblichen Überlegenheit des Kapitalismus. Bereits in den 70er und 80er Jahren endete das deutsche Wirtschaftswunder. Die Binnennachfrage war gesättigt, neue Automatisierungstechniken und Produktionsverfahren verringerten den Arbeitsaufwand und verbesserten die Produktivität. Die Zahl der Arbeitslosen stieg und die Realeinkommen sanken. Zusätzlich entstanden in dieser Zeit neue Wettbewerber, die den deutschen Herstellern und ihrem Profitstreben „Angst und Schrecken“ einjagten. In Japan und später Südkorea entstand eine Autoindustrie, die gute und günstige Autos auf den Markt brachte. Als eine nationalistisch und überheblich verbrämte Propaganda gegen die angebliche Abkupferei nicht verfing, mussten andere Argumente her, die bei einer gutsituierten Gruppe der Gesellschaft besser verfingen.

1984 beschloss die Bundesregierung die verpflichtende Einführung des sogenannten Abgas-Katalysators, um die schädlichen Abgase des Autos zu senken. Die technische Einführung wurde verbunden mit dem publizistischen Druck, angeblich „Gutes für die Umwelt“ zu tun. Das Klagen der Autoindustrie gegen diese Auflage war nur Geplärr. Die KAT wurden zum Verkaufsschlager – auch international.

Nach der großen Finanzkrise 2007/2008, die auch die sogenannte Realwirtschaft in starke Turbulenzen gestürzt hatte, griff man das Öko-Argument erneut auf, um die Absatzschwierigkeiten der Autoindustrie zu überwinden. Hier lässt sich das Zusammenspiel von Wirtschaft und Staat noch deutlicher erkennen als bei den vorhergehenden staatlichen Förderprogrammen. Am 14. Oktober 2008 schlug Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), die Einführung von Prämien für neue Autos vor. Sie ging unter dem Namen Abwrack- oder Umweltprämie in die Geschichte der staatliche Autosubventionierung ein. Käufer eines neuen Fahrzeugs, die den Nachweis erbrachten, dass sie ein altes Fahrzeug verschrottet hatten, erhielten 5.000 Euro aus Töpfen mit „staatlichen Sondervermögen“. Das heißt nichts anderes, als dass die Arbeiterklasse es finanzieren musste.

Die nächste große Krise ließ keine zehn Jahre auf sich warten. 2019 wurden Prämien von 4.000 bis 6.000 Euro aus Steuermitteln lockergemacht, um Fahrzeuge mit Elektroantrieb zu kaufen und alte – fahrbereite – Fahrzeuge zu verschrotten. Da aber auch dies die übersättigten Märkte nicht aufnahmefähiger macht, kommt Corona in einer Doppelfunktion wie gerufen. Einerseits ist es der ideale Anlass, die Produktion weltweit für eine gewisse Zeit zu stoppen und damit Reserven abzubauen und, wie oben erwähnt, mit noch mehr Prämien den Kauf für angeblich „sauberere“ Fahrzeuge anzukurbeln.

Die große Bereinigungsschlacht
1989 ließ der Abgang des Sozialismus zwischenzeitlich die Augen der Automobilbauer vor allem in Deutschland leuchten und die Profite ihrer Konzerne in die Höhe schnellen. Sie radierten innerhalb einer ganz kurzen Zeitspanne die Automobilproduktion in den ehemals sozialistischen Ländern radikal aus – egal ob bei Pkw oder Lkw. Von den Autofabriken mit ihren hunderttausenden Arbeitsplätzen in der Sowjetunion, der DDR, Polen oder der Tschechoslowakei blieb keine übrig. Allen voran VW übernahm die Belieferung der Märkte und später dann die Herstellung. Zeitgleich fand ein riesiger Konzentrationsprozess in der Automobilindustrie statt. Von einst vor 30 Jahren noch über 30 namhaften Automobilherstellern sind 2020 noch 15 übriggeblieben. Wie immer diese Schlachten ausgehen, die Folgen tragen die Beschäftigten. Der letzte große Zusammenschluss von Fiat/Chrysler (FC) und Peugeot/Citroen (PSA) fand kurz vor Weihnachten 2019 statt. PSA hatte zuvor schon Opel übernommen, was den Abbau von circa 3.500 Stellen bei Opel in Deutschland bedeutete. Der Zusammenschluss von FC und PSA wird nach Auffassung Prof. Dudenhöffers weitere Stellen kosten: „Eine Entwicklungsabteilung wird künftig in Rüsselsheim nicht mehr benötigt.“ Der neue Konzern werde künftig vermutlich in Frankreich und in Turin an Innovationen arbeiten. Die größten Verlierer seien dann Ingenieure bei Fiat, Peugeot und Opel, so Dudenhöffer.

Es wird kein Weg daran vorbeigehen, die Zahl der Autos zu senken. Die Konsequenz heißt: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und eine Planung für alternative Produkte – unter Mitwirkung der Arbeiterklasse. Ohne dass dabei über Sozialismus gesprochen wird, wird dies aber nicht funktionieren.

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