Konferenz gegen die Enttheoretisierung der DKP, Erfolgreich?
Zur Vorbereitung der zentralen theoretischen Konferenz der DKP am 30.Oktober in Hannover hat die DKP Baden-Württemberg am 16.7. 2011 selbst eine theoretische Konferenz in Stuttgart durchgeführt, zu der als Referent Hans-Peter Brenner eingeladen war.
Ca. 35 TeilnehmerInnen waren zwar weniger als erhofft, aber dennoch zufriedenstellend.
Mit Hans-Peter Brenner wurde ganz bewusst ein Referent eingeladen, der sich in vielen Artikeln kritisch mit den Vertretern der „Thesen“ auseinandergesetzt hat, aber kein Anhänger der „84er“ ist. Dieser Erwartung ist er gerecht geworden.
Entsprechend dem Wunsch der Bildungs-AG des Bezirksvorstands referierte er zu vier zentralen Themenblöcken:
1. Neue Fragen zum Imperialismus/ „Neoliberalismus“/ „Globalisierung“
2. Neue Entwicklungen in der Arbeiterklasse, bleibt sie weiterhin das entscheidende revolutionäre Subjekt?
3. Unser sozialistisches Ziel und Wege zum Sozialismus?
4. Welche Partei brauchen wir dafür heute?
Dabei ging es jeweils um eine Gegenüberstellung der Aussagen in den „Thesen“ und im Partei-Programm, sowie eine Bewertung der Gegenüberstellung. Mit großer Sorgfalt und Sachlichkeit wurde von Hans-Peter im Einzelnen (mit Belegen und Zitaten) nachgewiesen, dass die „Thesen“, die durchaus programmatischen Charakter haben, in wesentlichen Punkten unserem gültigen Partei-Programm widersprechen.
Die nun folgende Zusammenfassung der Diskussionspunkte kann nur bruchstückhaft ausfallen und kann auch die lebendige, offene und kritische Auseinandersetzung eines ganzen „Bildungstages“ nicht annähernd so differenziert und komplex wiedergeben, wie sie war.
Zu 1. Der Begriff Imperialismus wird in den „Thesen“ durchgängig durch „globaler Kapitalismus“ oder „neoliberaler Kapitalismus“ ersetzt. Demgegenüber heißt es im Partei-Programm: „Der Neoliberalismus ist die Ideologie und Politik des Imperialismus“. Es kommt also darauf an, zwischen Wesen und Erscheinung zu unterscheiden. Der Imperialismus ist ein wissenschaftlicher marxistischer Begriff, der ganz bestimmte Wesensmerkmale aufweist, als monopolistischer Kapitalismus, der das Finanzkapital hervorbringt, dem eine besondere Aggressivität zueigen ist, z.B. bei der Neuaufteilung der Welt (fehlt in den Thesen) und der gesetzmäßig die Entwicklung des Opportunismus in der Arbeiterbewegung hervorruft, mit dem wir uns bewusst auseinandersetzen müssen. Auch die Frage des Parasitismus (faulender/ sterbender Kapitalismus?) wurde andiskutiert. Die Eliminierung des Begriffs Imperialismus ist in der Diskussion als Enttheoretisierung und als Versuch der ideologischen und strategischen Entwaffnung unserer Partei bezeichnet worden. Die revolutionäre Theorie ist notwendig, um eine revolutionäre Praxis entfalten zu können.
Zu 2. Beim Thema Arbeiterklasse stand insbesondere folgende Aussage der „Thesen“ im Zentrum der Auseinandersetzung: „Der moderne Kapitalismus hat die soziale Basis der Arbeiterbewegung zersetzt und aufgelöst. Mit der Folge dass „die“ Arbeiterbewegung als klassenautonome politische, gewerkschaftliche und kulturelle Bewegung nicht mehr existiert.“ Demgegenüber steht die Formulierung im Partei-Programm: „Die Arbeiterklasse ist die entscheidende Kraft im Kampf gegen die Macht des Kapitals und zur Erkämpfung des Sozialismus. Sie ist die Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft, die aufgrund ihrer Stellung im System der gesellschaftlichen Produktion am stärksten und unmittelbar die kapitalistische Ausbeutung erlebt.“ Die Aussage in den „Thesen“ wurde (ob bewusst oder versehentlich) in ihrer strategischen Bedeutung im Prinzip als Todeserklärung einer Organisation gesehen, die sich von ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis als revolutionäre Partei ebendieser „nicht mehr existenten“ Arbeiterbewegung bzw. -klasse versteht. In der Diskussion wurde insbesondere herausgearbeitet, dass der Begriff der Arbeiterklasse kein statischer sondern ein dynamischer Begriff ist, dass die Arbeiterklasse sich zwar derzeit tatsächlich in einem desolaten Zustand befindet, dass sie jedoch von Beginn an einem ständigen Veränderungsprozess unterliegt und sich im Kampf erst zur Klasse formiert.
Zu 3. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Sozialismus ging es v.a. um die Fragen „Sind Revolutionen undemokratisch?“ und „Brauchen wir gesellschaftliche Übergangsformen auf dem Weg zum Sozialismus – wenn ja, welche?“
Die Betonung in den „Thesen“, dass „es für die DKP nur einen demokratischen Weg zum Sozialismus geben“ kann und die klassenneutrale Verwendung des Demokratiebegriffs haben die Frage aufgeworfen, ob Revolutionen nach dem Verständnis der „Thesen“ als undemokratisch betrachtet werden, z.B. wenn sie von einer Avantgarde erkämpft wurden, allerdings mit Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit (Beispiel Kuba, d. Verf.)?
Es herrschte Einigkeit darüber, dass der Sozialismus nur durch einen revolutionären Bruch mit den herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnissen erreicht werden kann.
Hans-Peter Brenner wies nach, dass auf dem Weg zum Sozialismus gesellschaftliche Übergangsstadien notwendig sind. Bei der Frage, ob die antimonopolistische Demokratie eine längere Phase im Kampf um die Überwindung des Kapitalismus sein kann oder ob sie nicht vielmehr eine kurze Phase heftiger Klassenkämpfe sein muss, in der die Machtfrage noch nicht endgültig entschieden ist, aber schnell entschieden werden muss, gab es (auch im Zusammenhang mit dem Artikel von Björn Blach in T&P) eine kontroverse Diskussion.
Zu 4. In der Parteifrage stand die Bedeutung unserer Klassiker im Zentrum der Diskussion. In den „Thesen“ (v.a. in der Urfassung aber auch in der gedruckten Zweitfassung) werden mindestens fünf nahezu gleichrangige Theoretiker des „wissenschaftlichen Sozialismus“ mit ihren jeweiligen Theorien genannt, auf die sich die DKP „kritisch und dialektisch“ beziehen soll. Die Lehre von Marx, Engels und Lenin zerfließt in einem Nebeneinander von unterschiedlichen linken Meinungen und Interpretationen. Anders im Partei-Programm: „Die DKP gründet ihre Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis auf den wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin begründet wurde und ständig weiterentwickelt werden muss (…)“. In den „Thesen“ wird die besondere Bedeutung von Marx, Engels und Lenin entwertet, was als bewusste Anknüpfung an die alten eurokommunistischen Positionen der 70er Jahre, dem Linkssozialdemokratismus von PDS und PDL und dem nichtkommunistischen bzw. teilweise antikommunistischem Linkspluralismus der vergangenen Jahre betrachtet wurde.
Die Diskussion war offen und sachlich. Auch Genossen, die den „Thesen“ eher nahe stehen, kamen selbstverständlich zu Wort. Die Diskussionsbeiträge haben teilweise eine gewisse Sorge um die Entwicklung unserer Partei zum Ausdruck gebracht, manche waren durchaus leidenschaftlich. „Glaubensbekenntnisse“ waren es deswegen nicht. Die Gefahr und die Angst vor der Spaltung kamen ebenso zum Ausdruck wie die Überzeugung, dass auf Dauer revolutionäre und reformistische Strömungen nicht in einer Partei bleiben können. So ringen wir um unsere Klarheit. Die Konferenz war von dem Willen geprägt, zu begreifen und zu verstehen, um was es bei der Auseinandersetzung in unserer Partei geht, und den Charakter der DKP als revolutionäre Partei zu verteidigen. Auf diesem Weg sind wir weiter gekommen.
Wer nicht da war, hat was versäumt – und muss mit dem Reader vorlieb nehmen!
Klaus Mausner, Stuttgart